Noch immer wirken die Bilder nach – und die Debatte um Silvesterkrawalle in Berlin, Hamburg und Co. erreicht immer neue Höhen. Attacken auf Rettungskräfte und Polizisten rufen zu Recht Abscheu hervor. Und die Debatte konzentriert sich vordergründig auf Menschen mit Migrationshintergrund.
Das ist falsch, finden viele. Die Gründe hinter den Krawalle, die auch in Hamburg grausige Szenen produzierten, liegen dabei wohl tatsächlich nicht allein bei gescheiterter Migration. MOIN.DE sprach mit einem Experten – der ein deutliches Fazit zieht…
Hamburg: Widerliche Böller-Attacken
Böller-Attacken auf Rettungskräfte im Einsatz, Beschuss mit Schreckschusswaffen, Randale. Während die Nacht auf Neujahr in Berlin völlig eskalierte, ging es auch in Hamburg heftig zu. 20 Festnahmen sind laut Andy Grote, Innensenator von Hamburg nur die Spitze des Eisbergs. „Das ist ungefähr das Niederträchtigste, was man sich überhaupt vorstellen kann, diejenigen anzugreifen, die anderen helfen wollen“, verkündete er am 4. Januar.
Für Grote ist zudem klar: „Da spielt das Thema Migrationshintergrund auch mit rein.“ Jens Spahn, Vize der Unionsfraktion im Bundestag, verkündete am Neujahrstag ebenfalls, die Ausschreitungen hätten ihren Ursprung in gescheiterter Migrationspolitik. Nach wie vor werden Stimmen laut, die ein Böllerverbot fordern, härtere Strafen, der Ton wird schärfer.
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Hamburg „Keine große Perspektive“
Dr. Martin Seeliger, Soziologe aus Berlin, mit Lehrstühlen unter anderem in Hamburg und Bremen, schlägt sich zunächst auf die Seite von Grote, Spahn und Co. Im Gespräch mit MOIN.DE verrät er: „Natürlich haben die Krawalle in der Form mit Integrationsproblemen zu tun.“ Doch von Pauschalverurteilungen will der Experte nichts wissen.
„Wir reden da über eine Klientel, die in unserer Gesellschaft keine große Perspektive hat“, führt er aus. Das Problem für ungebändigte Aggression unter jungen Männern mit Migrationshintergrund liegt für ihn in „Anerkennungsdefiziten“, wie er sie etwas umständlich nennt. Damit meint der Soziologe fehlende (Weiter-)Bildung in Zuwanderer-Kreisen, die automatisch dafür sorge, dass Betroffene Niedriglohn-Jobs ohne echte Aufstiegsmöglichkeiten erhielten.
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Hamburg: Harte Strafen nützen nichts
Darüber hinaus sei das Milieu von jungen Männern aus zweiter Einwanderer-Generation davon geprägt, dass die Fähigkeit „sich in eine bestehende Gesellschaft zu integrieren“ oft schlichtweg nicht vorhanden sei. Das liegt für Seeliger aber auch an Versäumnissen von Politik und der Gesellschaft selbst. „Es gibt einfach nicht genug Angebote in Bildung und Sozialarbeit“, meint er.
Von härteren Strafen hält er derweil nichts, etwa zwei Jahre Gefängnis für Böller-Werfer, die ebenfalls schon gefordert wurden. „Die werfen das nächste Mal wieder Böller, das Problem liegt tiefer“, sagt er. Ausschreitungen wie zum Jahreswechsel seien ohnehin weiter zu erwarten, erzählt Seeliger MOIN.DE. Denn das Problem liegt in einer wegbrechenden Mittelschicht, prekären Jobs – und einer Gesellschaft, die nur allzu oft die Augen verschließt.