Hamburg.
Eine wirklich schicke Gegend ist der Stadtteil Marienthal in Hamburg. Hier sind die Häuser nicht so eng beieinander gebaut, die Straßen sind grün bewachsen und zwischen Bäumen und Büschen tauchen immer wieder hübsche alte Häuser und Villen auf. So auch an der Oktaviostraße. Dort fällt aber noch etwas anderes ins Auge: Typische Neubauten. Einfach gehalten, ohne Schnörkel und Verzierungen.
Sie haben hier in Hamburg-Wandsbek einen Lost Place ersetzt. Eine Ruine, die immer weiter verfiel. Und das schmerzte vor allem Fans des fast 100 Jahre alten Bauwerks, die den Anblick der Verrottung nur schwer ertragen konnten. Sie hätten sich gewünscht, dass das Marienthal-Stadion inmitten der Villengegend stehen bleiben darf.
Hamburg: Fan-Urgestein von Concordia
Zu diesen Menschen gehört Werner Platthoff. Er habe sicher Hunderte Spiele Spiele seines Vereins Concordia gesehen, erzählt er MOIN.DE. Das erste im Jahr 1948 in der Oberliga Nord, früher die höchste Spielklasse, in der auch der HSV und St. Pauli spielten.
Weil die Briten nach dem Zweiten Weltkrieg das Marienthal-Stadion für militärische Zwecke beschlagnahmten, spielte „Cordi“ damals noch am Rothenbaum, am Millerntor oder im Hoheluft-Stadion. Der Verein kehrte erst Ende der 40er nach Wandsbek zurück.
Bis 1958 war Werner Platthoff selbst für den Verein in einer der elf (!) Jugendmannschaften aktiv, die es damals in seiner Altersklasse gab. Dann kamen die Mädchen, die Bundeswehr – Trainingszeiten wurden nicht mehr eingehalten.
Doch Werner Platthoff blieb Fan und dem Marienthal erhalten, schrieb sogar ein Buch über den Verein und führt bis heute ein Archiv.
Stadion in Hamburg hat eine lange Geschichte
Der Weg vom Bau 1924 bis zum Verfall vor ein paar Jahren ist ein schmerzhafter. Alles begann mit einem Eröffnungsspiel gegen den HSV, das Concordia 1:16 verlor.
Seine großen Zeiten hatte der Verein nach dem Krieg und in den 50er Jahren. Tausende gingen damals ins Marienthal und wollten die Spiele sehen.
„Die Enge, da war keine Laufbahn drin und mit ungefähr 90 Metern Länge und 60 Metern Breite war das Stadion relativ klein. Man konnte seinen Gegenüber auf der anderen Seite erkennen, dahinter das Wandsbeker Gehölz“, sagt der 80-Jährige.
Nicht nur schöne Erinnerungen an das Stadion in Hamburg
Ein Stadion in einer Villengegend – ein netter Widerspruch. In den 50ern und 60ern sind die Fans meist zu Fuß gekommen. Erst in den 70er und 80er Jahren beschwerten sich Anwohner über die zugeparkten Straßen.
Negativ in Erinnerung geblieben sind Werner Platthoff die Aufsstiegsspiele um die Rückkehr in die Oberliga Nord gegen den VfB Lübeck Anfang der 50er Jahre.
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Nach der Hinspiel-Niederlage in Wandsbek legte Concordia frustriert Beschwerde ein, weil ein Spieler, der einst von den Hamburgern zu den Lübeckern gewechselt war, noch Beitragsschulden von 36 Mark gehabt haben soll. Deswegen hätte er nicht spielen dürfen, argumentierten die Marienthaler.
Wut auf den Club aus Hamburg
Entsprechend unfreundlich war der Empfang beim Rückspiel an der Lohmühle. „Hängt Concordia auf“, riefen die Lübecker, erzählt der 80-Jährige.
„Sehr zum Ärger“ seines Vaters habe er sich damals Geld „abgeluchst“, um in einem der Busse zum Spiel mitfahren zu können.
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Tausend Polizisten seien im Einsatz gewesen, Clubverantwortliche der Hamburger hätten sich wegen der wütenden Lübecker nur mit falschem Bart ins Stadion getraut. Concordia gewann 1:2, schaffte den Aufstieg aber letztlich doch nicht.
Hamburg: Bei fast jedem Spiel dabei
1957 baute der Verein als einer der ersten ein Flutlicht im Marienthal-Stadion. Im selben Jahr kamen zu einem Spiel gegen den HSV 14.000 Zuschauer – Rekord. Eine zusätzliche Tribüne wurde aufgestellt und ragte bis auf die Oktaviostraße raus. Der HSV siegte mit 1:2.
Ein weiteres Highlight: 1958 wurde der Verein in die Sowjetunion eingeladen und spielte bei Begegnungen in Moskau, Kiew und Minsk vor über 100.000 Zuschauern.
Erste, zweite, dritte, vierte und fünfte Liga – überall war Concordia in den darauffolgenden Jahrzehnten zu sehen. „Wenn ich nicht krank war, war ich eigentlich immer da. Außer zu Bundeswehr-Zeiten oder in den Monaten nach der Heirat“, sagt Werner Platthoff.
Immer weniger Menschen im Stadion in Hamburg
Der Grund, auf dem das Marienthal-Stadion stand, gehörte nicht dem Verein, sondern der Stadt. Leider habe er nie herausgefunden, wann der Besitz wechselte und dazu deswegen auch keine Unterlagen in seinem Archiv, sagt der 80-Jährige.
In den 2000er-Jahren spielte „Cordi“ meist nur unterklassig, wenige Zuschauer kamen zu den Spielen.
Hamburg: Stadion in schlechtem Zustand
Die laufenden Kosten von 4.000 Euro im Monat für das sanierungsbedürftige Stadion wurden dem Verein irgendwann zu hoch, man wollte es loswerden. Wie es so oft der Fall ist, wenn kleinere Clubs ein schmuckes, altes Stadion besitzen.
Der Pachtvertrag mit der Stadt lief noch bis 2014, doch die habe dem Verein sinngemäß gesagt: Wenn ihr früher aus dem Vertrag rausgeht, dann einigen wir uns, was die Kosten angeht.
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Normalerweise hätte der Club der Stadt das Gelände sonst 2014 besenrein übergeben und die Kosten für den Abriss selbst tragen müssen.
So aber ging das Marienthal schon 2009 nach dem letzten Spiel mit seinen Tribünen und Flutlichtern an die Stadt über. Und die ließ es verrotten. Auch Probleme mit dem Platzwart soll es gegeben haben, der sein Häuschen nicht aufgeben wollte. Das Stadion wurde zum Lost Place für Fußball-Romantiker.
Hamburg: Die Perle geht unter
Es war die „Perle“, das „Herzstück von Cordi“, wie der 80-Jährige MOIN.DE erzählt. „Die Auswärtsmannschaften sind gerne hierhergekommen, die mochten die Enge.“ Der alte Rothenbaum, das alte Millerntor und die Lohmühle sind Stadien, die ihm ebenfalls besonders gefallen.
Bis zum endgültigen Abriss ein paar Jahre später verfiel das Marienthal immer weiter.
Heute stehen ein paar Häuser auf dem ehemaligen Stadiongelände. Die eingezäunte Wiese daneben wird der Natur überlassen.
Hamburg: Fans immer noch traurig
Die älteren Fans seien heute noch traurig über den Abriss, sagt Werner Platthoff MOIN.DE. „Und solche Vereine leben von den älteren Zuschauern.“
Mittlerweile spielt Concordia auf einem stinknormalen Spielfeld ohne Tribünen und Unterstell-Möglichkeiten. „Ein schrecklicher Platz. Viele Fans sind dadurch dann auch nicht mehr gekommen“, meint das Vereins-Urgestein.
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Werner Platthoff aber geht trotzdem immer noch zum Wandsbeker TSV Concordia, wie der Verein heute heißt. Seit jetzt über 70 Jahren schon.
Und das auch ohne das legendäre, enge Marienthal-Stadion, das nur noch in Erinnerungen und auf Fotos und Videos lebt.