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Landtagswahl MV: Linken-Politikerin mit deutlichen Worten – „Gerade für die Küste und die Inseln“

Landtagswahl MV: Linken-Politikerin mit deutlichen Worten – „Gerade für die Küste und die Inseln“

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Diesen Sommer war an der Ostseeküste sehr viel los. Simone Oldenburg, Linke-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl MV, fordert einen „sanften Tourismus“. Foto: IMAGO / Reiner Zensen, picture alliance/dpa | Stefan Sauer (Montage MOIN.DE)

Für Simone Oldenburg (Die Linke) steht fest: „Wir brauchen mehr Zustimmung.“ Ihre Partei hatte vor fünf Jahren in Mecklenburg-Vorpommern (MV) deutlich Stimmen verloren. Wie ist die Stimmung bei den Linken jetzt, kurz vor der Landtagswahl? Große Baustellen in MV sind Bildung, Verkehr, Löhne. In den beliebten Urlaubsregionen treibt viele Menschen auch der Tourismus um.

Erst mussten Gäste im Lockdown über Monate weg bleiben. Dann kamen sie umso lieber wieder. Der Urlaubsboom hat auch Schattenseiten. Es regt sich Widerstand gegen große Hotelprojekte, Straßen sind überlastet. MOIN.DE hat vor der Landtagswahl in MV mit Simone Oldenburg, Linke-Spitzenkandidatin, über mögliche Lösungen gesprochen – nicht nur im Bereich Tourismus.

Landtagswahl MV: „Wir brauchen auf jeden Fall einen sanften Tourismus“

Frau Oldenburg, Sie leben in einem beliebten Urlaubsland. Wo haben Sie diesen Sommer Urlaub gemacht?

Simone Oldenburg: Ich bin mit meiner Familie für einige Tage nach Kroatien gefahren.

Einige in MV haben genug von den Touristenmassen, insbesondere auf den Inseln und an der Küste. Was sollte die Politik tun?

Wir brauchen auf jeden Fall einen sanften Tourismus. Bei uns ist die Bettenanzahl viel schneller gewachsen als die Infrastruktur. Da rede ich von Straßen, von Schienen, vom öffentlichen Personennahverkehr, aber auch von der fehlenden Ausbildung von Restaurantfachfrauen, von Kellnern und Köchinnen. Wir haben einen boomenden Tourismus, der Land und Leute nicht ausreichend mitnimmt. Da müssen politische Entscheidungen her. Zum Beispiel den ÖPNV-Ausbau und dessen kostenlose Nutzung oder auch mehr Berufsschulstandorte, um dem Fachkräftemangel wirksam zu begegnen.

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Das ist Simone Oldenburg:

  • Simone Oldenburg wurde am 22. März 1969 in Wismar geboren.
  • Sie ist Schulleiterin und hat auf Lehramt Deutsch und Geschichte studiert.
  • Seit 2011 sitzt sie im Landtag in Schwerin und ist seit 2016 Linke-Fraktionschef und Sprecherin der Fraktion für Bildungspolitik.
  • Sie ist verheiratet und hat ein Kind und lebt in Gägelow, wo sie auch stellvertretende Bürgermeisterin ist.

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Bräuchte es auch eine Obergrenze an Touristen oder einen Stopp für den Bau von noch mehr Betten?

Eine touristische Obergrenze ist auf Landesebene nicht machbar. Ein allgemeiner Bettenbaustopp ist auch nicht die Lösung. Allerdings müssen insbesondere Großprojekte in die Region passen, sie dürfen die Infrastruktur nicht überfordern und es müssen ausreichend Fachkräfte vorhanden sein – auch um die Qualität zu sichern. Das gilt gerade für die Küste und die Inseln. Das Flair der Orte und die Naturschönheiten dürfen nicht zerstört werden. Wir brauchen keine weiteren Rollladen-Siedlungen, sondern mehr bezahlbaren Wohnraum für Einheimische und auch die Servicekräfte. Im Binnenland haben wir dagegen noch Reserven.

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Die Tourismusbranche hat unter Corona stark gelitten. Wie fällt Ihre Bilanz für die Regierung in der Krise aus?

Wir haben uns ja auch beteiligt. Nur durch uns ist beispielsweise der 25 Millionen schwere Sozialfonds aufgelegt worden. In der ersten Phase der Pandemie haben wir das Land wirklich gut durch die Krise geschippert. In der zweiten und dritten Phase wurde viel zu wenig aus der ersten Phase gelernt. Die Bildungspolitik der Landesregierung war ein Totalversagen. Gesundheitspolitisch musste man aufholen, was man vorher vergeigt hatte. Wir haben bis heute zu wenig Ärztinnen und Ärzte, zu wenige Lehrerkräfte, Erzieherinnen und Erzieher sowie Pflegepersonal.

Sie sind Lehrerin. Welche Schulnote würden Sie der Regierung für die Corona-Politik geben?

Für die gesamte Corona-Politik für alle drei Phasen ist es eine 3. Alles zusammen ist es befriedigend. Selbstverständlich auch dadurch, dass die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern sich an die Regeln gehalten haben. Ihnen gebührt der größte Dank.

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Gerade an den Schulen kommen jetzt viele ungeimpfte Menschen zusammen. Was braucht es, um möglichst gut durch den Herbst und Winter zu kommen?

Solange es den Impfstoff für Kinder nicht gibt, brauchen wir besondere Vorkehrungen an den Schulen. Wir haben zu viele Kinder in einem Raum. Wir haben einen Sanierungsstau an den Schulen von über zwei Milliarden Euro. Wir sind von hervorragenden hygienischen Bedingungen weit entfernt. Wir brauchen besseren Unterricht mit kleineren Klassen und größeren Räumen. Wir brauchen ein Schulbauprogramm in Höhe von einer Milliarde Euro auf zehn Jahre gestreckt. Wir brauchen auch weiterhin Testmöglichkeiten an den Schulen. Und wir benötigen eine bessere Schülerbeförderung. Es bringt nichts, wenn die Schulräume gut sind, aber sich im Bus dorthin alle zusammendrängen.

Diese Wahl ist auch eine Klimawahl. Mit der Ostsee haben Sie ein empfindliches Ökosystem vor der Tür. Was hat die Linke vor?

Wir möchten, wie die Linke im Bund, dass wir bis 2035 klimaneutral werden. Dazu gehört, dass wir einen Energiemix brauchen aus Solar- und Windkraft sowie weiteren erneuerbaren Energien. Wir brauchen einen Ausbau von Solarenergie – besonders auf Dächern. Zudem schafft es mehr Akzeptanz, wenn diejenigen mit dem Windrad vor der Tür auch einen spürbargeringeren Strompreis zahlen müssen – und nicht den höchsten europaweit. Wir müssen den ÖPNV stärken, um den Individualverkehr einzudämmen. Ich komme in Mecklenburg-Vorpommern vielleicht von A nach B, aber nicht an einem Tag und schon gar nicht zurück.

Eine Milliarde Euro für die Schulen, Nahverkehr stärken, Schienen ausbauen, Windräder aufrüsten: Wo soll das Geld dafür herkommen?

Der ehemalige Innenminister Caffier hat immer gesagt: aus dem Haushalt. Mecklenburg-Vorpommern und auch die Bundesregierung dürfen nicht wieder den Fehler machen, alles kaputtzusparen. Wir müssen endlich alle an den Ausgaben beteiligen: nicht nur Beschäftigte, Kleinstunternehmen und den Mittelstand, sondern stärker Mehrfachmillionäre und die Milliardäre besteuern. Es darf nicht sein, dass wieder der Paketbote, die Kellnerin oder die Lehrerin die Krise bezahlen wie bei der Bankenkrise 2008.

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Landtagswahl MV:

  • Am 26. September 2021, am Tag der Bundestagswahl, ist in MV auch Landtagswahl.
  • Die letzte Landtagswahl in MV war am 4. September 2016.
  • Stärkste Partei wurde 2016 die SPD (30,6 Prozent). Sie koalierte mit der CDU (19 Prozent).
  • Die AfD zog mit 20,8 Prozent ins Parlament ein, die Linke kam auf 13,2 Prozent. Die Grünen holten 4,8 Prozent, FDP und NPD jeweils 3 Prozent.
  • Erwin Sellering wurde 2016 als Ministerpräsident bestätigt. Er zog sich 2017 krankheitsbedingt aus der Politik zurück.
  • Seit 4. Juli 2017 ist Manuela Schwesig (SPD) Ministerpräsidentin von MV.

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Vor fünf Jahren holte die Linke mit 13 Prozent ein schlechtes Ergebnis. Was hat die Partei daraus gelernt? Was machen Sie heute besser?

Was wir besser machen, kann ich gar nicht sagen. Wir haben ein gesellschaftliches Klima, das nicht förderlich ist für kleinere Parteien. Wir haben einen Unmut, der offenbar für die AfD zu Buche schlägt. Wir sind nicht die Partei, die Krawall macht, sondern die Lösungen vorschlägt. Man bekommt vielleicht eher durch laute, krawallige Politik Aufmerksamkeit. Wir brauchen mehr Zustimmung, die wir meiner Meinung nach auch verdient haben. Was mir echt eine schlaflose Nacht bereitet hat, war die neue Umfrage, die die SPD bei 39 Prozent sieht.

Schlaflose Nacht – so schlimm?

Wie können die bei 39 Prozent sein? Dabei verantwortet die SPD die katastrophale Lage in den Schulen. Sie verantwortet, dass wir das ärmste Bundesland überhaupt sind mit der höchsten Armutsquote bei Kindern und Älteren. Maßgebliche Ursache sind die niedrigen Löhne bei uns, wir stecken seit vielen Jahren im Lohnkeller. Aber es hängt auch immer mit dem Bundestrend zusammen. Da ist die SPD gerade das geringere Übel. Laschet und Baerbock stolpern doch über ihre eigenen Füße und machen vieles falsch. Da wählen die Leute lieber Scholz.

Die AfD ist laut Prognosen mit 17 Prozent zweitstärkste Kraft in Mecklenburg-Vorpommern. Wie erklären Sie sich das?

Die Werte sind gesunken, aber das ist natürlich immer noch viel zu viel. Die haben fünf Jahre lang nichts gemacht. Da ist kein einziger kluger Vorschlag gekommen. Die haben nur Radau gemacht und zerlegen sich selbst.

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Trotzdem kriegen sie viel Zustimmung.

Das ist dieses Radaumachen. Das stachelt auf: „Ich will nicht die etablierten Parteien wählen, sondern ich will, dass sie alle mal sehen, was sie jetzt davon haben.“ Das ist natürlich nicht gut und es verwundert mich wirklich auch. Das ist nur Protest. Wenn es nach Inhalten ginge, dann dürfte keine einzige Stimme der AfD gehören. Sie wollen keine gute Bildung, sie wollen keine hervorragende Sozialpolitik. Sie wollen spalten und ausgrenzen. Das ist die Politik der AfD. Das braucht kein Mensch.

Sie sind Fraktionschefin der Linken. Wie hat der Einzug der AfD das Klima im Parlament verändert?

Wir anderen Parteien sind ein bisschen mehr zusammengerückt. Aber die Debatte ist vergiftet. Wir hatten das vorher mit der NPD. Großartig geändert hat sich in den Reden und Debatten von NPD und AfD nichts. Es ist zum Teil die gleiche Wortwahl, die gleiche Aggressivität. Es ist nicht das Suchen nach einer gemeinsamen tragfähigen Lösung. Deshalb ist es schon angespannt mit der AfD.

Wären Sie gerne Ministerpräsidentin?

Nein.

Warum nicht?

Weil ich realistisch bin. Wir liegenzwischen 10 und 15 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern. Wir sind hier bekannt für eine pragmatische Politik. Dazu gehört auch zu sagen: Da müssen wir noch weiter überzeugen mit unseren Konzepten, bis wir dahinkommen, einen eigenen Kandidaten oder eine Kandidatin zu stellen. Die CDU hat einen Kandidaten, den keiner kennt. Das fällt der CDU auf die Füße. Das soll uns nicht passieren. Wir kämpfen für eine starke Linke.

Was muss gegen Rechtsextremismus im Land passieren?

Wir haben das Landesprogramm „Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken“. Das muss mehr mit Leben erfüllt werden. Wir müssen die Beratungsstrukturen besser ausbauen. Wir brauchen Regionalzentren für demokratische Aufklärung. Deren Finanzierung braucht sichere Füße. Wir müssen mehr in die Schulen gehen, auch der ehrenamtliche Bereich muss gestärkt werden. Ich lebe in der Gemeinde Gägelow und bin da stellvertretende Bürgermeisterin. Zu meiner Gemeinde gehört der rechte Ort Jamel und da weiß ich schon, wie wir allein gelassen werden von der Landesregierung. Wir brauchen bessere Unterstützung für die kommunalen Vertreter. Da hat Mecklenburg-Vorpommern Nachholbedarf.

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Erleben Sie persönlich Anfeindungen und Bedrohungen?

Nein.