Vor dem dekorativen Backsteingebäude sprießt das Grün, weiße Farbe blättert von der Fassade. Nur wenige Meter entfernt nahm vor gut 100 Jahren eine deutsche Revolution an der Ostsee ihren Anfang.
„Hier fing im November 1918 der Kieler Matrosenaufstand an“, sagt der Vorsitzende der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte Rolf Fischer. Seit mehr als 20 Jahren wird das Gebäude der ehemaligen kaiserlichen Marine-Arrestanstalt an der Ostsee nicht mehr genutzt, früher geschah hier Fürchterliches. Direkt nebenan liegt eine bewachte Einfahrt des Kieler Marinestützpunkts.
Ostsee: „Ort des Schreckens“
Seit den 1950er Jahren war in dem Backsteinbau laut dem Kieler Stadtarchiv das Kreiswehrersatzamt untergebracht. Seit 2000 steht es leer. „Die Geschichte des Hauses ist nicht wirklich aufgearbeitet und viele Kielerinnen und Kieler wissen nicht, was dieses Gebäude war und an geschichtsträchtiger Substanz enthält“, sagt Fischer. Es sei nach 1933 umgewandelt worden in ein Marinegefängnis.
Vor allem in der NS-Zeit war das Gebäude ein Ort des Schreckens. „Hier saßen viele inhaftierte Matrosen, nach 1933 auch zum Tode Verurteilte wie beispielsweise U-Boot-Kommandant Oskar Kusch, der in Kiel hingerichtet wurde“, sagt Fischer.
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Seit 2021 trägt die östliche Außenmole des Kieler Marinestützpunktes Kuschs Namen. Er war wegen regimekritischer Äußerungen 1944 auf dem Schießplatz in Kiel-Holtenau hingerichtet worden.
Die teils weiß gestrichene Außenfassade des leerstehenden Ex-Gefängnisses, in dem auch Kusch einsaß, ist zwar relativ gut erhalten. Wer durch einige der dunklen Gänge geht, bemerkt aber einen muffigen Geruch. Die Stadt Kiel hat das Bauwerk vor Jahren übernommen. Öffentlich zugänglich ist das Haus nicht. Graffitis an einigen Wänden zeugen davon, dass Menschen sich dennoch Zutritt verschafft haben.
Das ist die Ostsee:
- auch Baltisches Meer genannt
- die Ostsee ist das größte Brackwassermeer der Erde
- die Fläche beträgt 412.500 Quadratkilometer
- sie ist bis zu 459 Meter tief
Ostsee: Pläne für Abriss
Zwischendurch gab es Pläne, den Komplex abzureißen. Mittlerweile soll der Bau saniert und genutzt werden. „Wie, das soll ein Konzept zeigen, das noch erarbeitet wird“, sagt Stadtsprecher Arne Gloy.
Pitt Pommerening vom Gebäudemanagement der Stadt spricht von solider Bausubstanz des 1904 gebauten Gebäudes. Die Haustechnik sei aber in desolatem Zustand. „Wir warten auf ein Konzept, solange halten wir das Gebäude instand.“
Dem Historiker und ehemaligen Wissenschaftsstaatssekretär Fischer schwebt eine museale Nutzung vor. „Es ist einer der ganz wenigen originalen Orte, wo authentisch die Marine-Gerichts- und Rechtsgeschichte im Kaiserreich und im sogenannten Dritten Reich dargestellt werden kann.“
Dieser authentische Ort müsse zumindest in Teilen renoviert und unbedingt als Lehr- und Gedenkort erhalten bleiben.
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Über Jahrzehnte in Vergessenheit geraten
„Die originalen Zellen aus der Kaiserzeit sind erhalten, ebenfalls die Küche und weitere originale Räume“, sagt Fischer. Die Zellen könnten genutzt werden, um die Haftumstände der Soldaten zu zeigen.
„Wir wissen leider nicht wirklich, wie viele von ihnen dort untergebracht waren und zum Tode verurteilt wurden in den letzten Kriegsjahren.“ Orte wie dieser seien über Jahrzehnte in Vergessenheit geraten. Das ändere sich jetzt langsam.
Vor vier Jahren hat das Theater Kiel unter anderem in einigen Räumen der ehemaligen Arrestanstalt das Stück „1918-Revolution in Kiel“ gezeigt, das auf dem Theaterstück „Neunzehnachtzehn“ des heutigen Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne) und dessen Frau Andrea Paluch basiert. In den Zellen zeugen noch etliche Requisiten davon. In einigen hängen Bilder von Kaiser Wilhelm II., in einem anderen baumelt dekorativ ein Matrosenhemd. (dpa)